Yoga und Wahrnehmung

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Je besser die Wahrnehmung, umso größer ist die Beweglichkeit in Körper und Geist. Wie kann das mit Yoga gelingen?

Yoga ist Geschicklichkeit in Aktion

Auf Asanas bezogen ist Wahrnehmung der wichtigste Schritt für “Geschicklichkeit in Aktion”, so eine der vielen Bedeutungen des Yoga. Aber es geht nur zu einem Achtel um die Körperhaltungen bei Patañjali. Auf ein yogisches Leben bezogen, kann man mit dem 2. Kapitel des Yoga Sutra Klarheit darüber gewinnen, wie und wozu man die Wahrnehmung schult. Natürlich schulen wir auch die Bewegungen, werden feiner und bekommen besser mit, wie es dem Körper geht. Darüber hinaus können wir mit einer ausgeprägten Wahrnehmung auch den Geist erforschen. Das bringt uns zu unseren alltäglichen Handlungen.

Die Körperliche Seite des Yoga

Wichtig sind die körperlichen Übungen, weil sie uns fordern und dadurch fördern: Kinästhesie fördert den Gleichgewichtssinn und die Kraft, indem wir besser unsere Position im Raum verstehen. Darüber verfeinern wir unsere Sinne und bekommen einen anderen Eindruck über die Welt und ihre Zusammenhänge. Das Gehirn wächst mit und gewinnt an Neuroplastizität. Wenn wir lernfähiger werden, sind wir offen für Neues. Es fällt vielen dadurch leichter, sich auch auf die tieferen Themen des Yoga einzulassen. Und letztendlich haben wir unsere Fähigkeit zur Resilienz ausgebaut, mit den vielen Werkzeugen, die uns Yoga an die Hand gibt. So werden Samskaras umgebaut und durch gute Handlungen überschrieben.

Mein täglich Yoga gib mir heute

Über die Yamas und Niyamas bietet uns Patañjali weitere Feldforschungen an. Dabei sollen alle zehn Bereiche gleichermaßen und nicht nacheinander angeschaut, erforscht und geübt werden. Hier geben schon viele auf. Das muss nicht sein, wenn man mit dem ersten der jeweils Fünf beginnt: Ahimsa ist das erste Yama und bedeutet Gewaltlosigkeit. Wenn wir versuchen gewaltlos zu handeln, bedeutet es auch, anderen dabei nicht zuzusehen oder sie zu unterstützen. Es ist nichts Passives in Ahimsa, sondern ein aktives Handeln! Wenn man sich (gewaltlos) mit diesen Themen in unserer Gesellschaft auseinandersetzt, folgen die anderen mit logischer Konsequenz: Wahrhaftigkeit, Nicht-stehlen, Mäßigung und Respekt, Nicht-Horten.

Leidenschaft und Glut: Tapas

Mit Sauca (Reinheit und Reinigung), steigen wir wild entschlossen in die Niyamas ein: Mit klaren Gedanken, nicht nur einem reinlichen Körper, üben wir täglich Yoga. Das bedeutet, auf der Matte und im Alltag zu praktizieren, und sich in Zufriedenheit und heiterer Gelassenheit (Santosha) zu üben. Dabei hilft die Disziplin mit Glut und Leidenschaft (Tapas) bei dieser Sache. Disziplin allein ist hirnlos, sie muss von einem kritischen Selbststudium und Loslassen, im gesunden Maße, begleitet werden: Svadhyaya und Ishvara Pranidhana. Nicht auf die Früchte der Arbeit soll man schielen, sondern Yoga um des Yoga Willen üben!

Leid verhindern: Pratipaksha Bhavana

Wozu machen wir das? Um zukünftiges Leid (Dukha) zu verhindern. Wir stellen uns dem entgegen, weil wir wissen, wir können das besser! Das kann man nur in die Zukunft gerichtet und nicht rückwirkend. Trotzdem müssen wir erst mal unser altes oder das allgegenwärtige Leid anschauen, es erkennen und erforschen, um zu wissen, wie wir dem zukünftigen begegnen können. Wie entsteht Leid: Die fünf Kleshas (Yoga Sutra 2.3 bis 2.9) geben dafür Anlass und Auslöser. Sie sind in jedem angelegt und befinde sich in verschiedenen Stadien. Die falsche Annahme ist auch hier die Mutter der vier anderen. In jedem Fall haftet man an etwas, einem Objekt. Lösung von den Objekten, ist die Lösung der Probleme. “Anhaftung lösen” ist als die Mutter aller Lösungen. Das können wir über Pratipaksha Bhavana (Yoga Sutra 2.33) erreichen: Man nimmt die andere Position oder die Haltung seines Gegenüber ein, um zu verstehen, wieso etwas gerade so ist oder wieso der andere Mensch so denkt. Am Ende sind wir alle Teile des Ganzen, also eins.

Yoga und Wahrnehmung

Hier kommen treffen die Yamas und Niyamas (Yoga Sutra 2.30 bis 2.34) auf die Wahrnehmung. Ohne sie fehlen Konzentration und Ausrichtung der Praxis. Vorerfahrungen, Erwartungen, Wünsche und Vorlieben können die Wahrnehmung einschränken und lenken. Das kann mit Übungen überwunden werden und führt letztlich zu der Klarheit, die wir für sinnvolle Entscheidungen benötigen. Meditation verändert und verbessert die Wahrnehmung. Wir kommen auf diese Weise der Wahrheit ein Stück näher. Yoga bietet durch eine positive, zukunftsgerichtete Haltung ein insgesamt positives Welt- und ein optimistisches Menschenbild an. Wer damit arbeitet, wird seine eigenen Täuschungen überwinden, sieht andere positiver und wird positiver wahrgenommen: Man bekommt das, was man ausstrahlt! Ein Grund mehr, mit Yoga in die Tiefe zu gehen. Wahrnehmung bedeutet also keine objektive Messung und Bewertung von Signalen, sondern ist immer durch den Beobachter (seine Interessen und Vorurteile) geprägt.

Annette Bauer

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